RUDOLF HESS – ER KANNTE ZU VIELE, ER WUSSTE ZU VIELES

Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg
14. November 1945 – 1. Oktober 1946

Urteil gegen Rudolf Heß

Heß ist in allen 4 Punkten angeklagt. Er trat der Nazi-Partei 1920 bei und beteiligte sich am Münchner Putsch vom 9. November 1923. Er war mit Hitler im Jahre 1924 in der Festung Landsberg gefangen und wurde Hitlers engster persönlicher Vertrauter, ein Verhältnis, das bis zum Fluge von Heß nach England andauerte. Am 21. April 1933 wurde er zum Stellvertreter des Führers ernannt und am 1. Dezember 1933 wurde er Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Am 4. Februar 1938 wurde er zum Mitglied des Geheimen Kabinettsrates (dessen Existenz äußerst fragwürdig ist)und am 30. August 1939 zum Mitglied des Ministerrates für die Reichsverteidigung ernannt. Im September 1939 wurde er von Hitler offiziell zum Nachfolger des Führers nach Göring bestimmt. Am 10. Mai 1941 flog er von Deutschland nach Schottland.


Verbrechen gegen den Frieden.

Als Stellvertreter des Führers war Heß der führende Mann in der Nazi-Partei, der verantwortlich für die Erledigung aller Parteiangelegenheiten war und das Recht hatte, im Namen Hitlers Entscheidungen über alle Fragen der Parteiführung zu treffen. In allen Fragen der Gesetzgebung hing der Erlaß eines Gesetzes, das von den verschiedenen Reichsministern vorgeschlagen wurde, von seiner Zustimmung als Reichsminister ohne Geschäftsbereich ab.

In diesen Stellungen gewährte Heß den Kriegsvorbereitungen aktive Unterstützung. Das Gesetz zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht vom 16. März 1935 trägt seine Unterschrift. In vielen [319] Fällen unterstützte er jahrelang Hitlers Politik der energischen Wiederaufrüstung. Dem Volk sagte er, daß es für die Rüstung Opfer bringen müsse, und er wiederholte das Schlagwort »Kanonen statt Butter«.

Richtig ist, daß Heß in den Jahren 1933 bis 1937 Reden hielt, in denen er den Willen zum Frieden und zu einer internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zum Ausdruck brachte.

Jedoch kann der Inhalt dieser Reden nichts an der Tatsache ändern, daß keiner der Angeklagten besser als Heß wußte, wie fest entschlossen Hitler zur Verwirklichung seiner ehrgeizigen Pläne war; keiner kannte so gut wie er den Fanatismus und die Gewalttätigkeit dieses Mannes, und er wußte auch, wie unwahrscheinlich es war, daß dieser von Gewaltanwendung absehen werde, falls sie der einzige Weg sei, seine Ziele zu erreichen.

Heß war ein wohlinformierter und williger Teilnehmer an Deutschlands Angriffen auf Österreich, die Tschechoslowakei und Polen (anerkannt ist inzwischen, daß Österreich sich freiwillig mit dem Deutschen Reich wiedervereinigte, die Angliederung der Reste der Tschechoslowakei erfolgte nach dem Münchner Abkommen, nach der Besetzung des Olsa-Gebietes durch Polen und der Besetzung von Gebieten mit ungarischer und ruthenischer Bevölkerung durch Ungarn auf Wunsch der tschechischen Regierung, Polen wurde gemeinsam mit der UdSSR überfallen?). Er stand mit der illegalen Nazi-Partei in Österreich während der ganzen Zeit von Dollfuß‘ Ermordung bis zum Anschluß in Verbindung und gab ihr während dieser Zeitspanne Anweisungen. Am 12. März 1938, als die deutschen Truppen einmarschierten, war Heß in Wien und am 13. März 1938 unterzeichnete er das Gesetz für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich. Ein Gesetz vom 10. Juni 1939 sah seine Mitarbeit bei der Verwaltung Österreichs vor. Am 24. Juli 1938 hielt er eine Rede zur Erinnerung an den fehlgeschlagenen Putsch, den österreichische Nationalsozialisten vier Jahre vorher unternommen hatten; er pries die Schritte, die zum Anschluß geführt hatten und verteidigte die Besetzung (oder die Wiedervereinigung) Österreichs durch Deutschland.

Im Sommer 1938 stand Heß in lebhafter Verbindung zu Henlein, dem Chef der Sudetendeutschen Partei in der Tschechoslowakei. Am 27. September 1938, während der Münchner Krise, sorgte er zusammen mit Keitel für die Durchführung der Anweisung Hitlers, auf Grund deren die Organisation der Nazi-Partei für geheime Mobilmachungszwecke zur Verfügung zu stellen war. Am 14. April 1939 unterschrieb Heß einen Erlaß zur Einsetzung einer Regierung des Sudetenlandes (geregelt mit Frankreich, England und Italien im Münchner Abkommen), das wesentlicher Teil des Reiches wurde und eine Verordnung vom 10. Juni 1939 sah seine Mitarbeit auch bei der Verwaltung des Sudetenlandes vor. Am 7. November 1938 führte Heß die Übernahme der Sudetendeutschen Partei Henleins in die Nazi-Partei durch und hielt eine Rede, in welcher er betonte, daß Hitler zum Kriege entschlossen war, falls dies zur Erwerbung des Sudetenlandes notwendig gewesen wäre.

Am 27. August 1939, als der Angriff auf Polen vorübergehend bei dem Versuch, Großbritannien zur Aufgabe der Polen gegenüber eingegangenen Garantie zu bringen, verschoben worden war, pries Heß in der Öffentlichkeit Hitlers »großmütiges Angebot« an Polen [320] und griff Polen wegen Aufhetzung zum Kriege und England als für Polens Haltung verantwortlich an. Nach dem Einfall in Polen unterzeichnete Heß Erlasse zur Eingliederung Danzigs (das nicht zu Polen gehörte !) und gewisser Gebiete in das Reich und zur Schaffung des polnischen Generalgouvernements.

Diese besonders von diesem Angeklagten zur Unterstützung von Hitlers Angriffsplänen unternommenen Schritte zeigen aber das Gesamtausmaß seiner Verantwortung nicht. Bis zu seinem Englandflug war Heß Hitlers nächster persönlicher Vertrauter. Das Verhältnis zwischen den beiden war derartig, daß Heß von den Angriffsplänen schon bei ihrer Entstehung Kenntnis gehabt haben muß. Und er handelte auch wirklich, wenn immer die Durchführung dieser Pläne es nötig machte.

Bei seinem Flug nach England nahm Heß gewisse Friedensvorschläge mit, von denen er behauptete, Hitler sei zu ihrer Annahme bereit gewesen.

Es ist kennzeichnend, daß dieser Flug nur 10 Tage nach dem Tage stattfand, an dem Hitler den 22. Juni 1941 als Zeitpunkt für den Angriff auf die Sowjetunion festgelegt hatte.

In Besprechungen nach seiner Ankunft in England unterstützte Heß von ganzem Herzen alle von Deutschland bis dahin begangenen Angriffshandlungen und versuchte Deutschlands Vorgehen in Verbindung mit Österreich, der Tschechoslowakei, Polen, Norwegen, Dänemark, Belgien und Holland zu rechtfertigen. Er machte England und Frankreich für den Krieg verantwortlich.


Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Es sind Beweise für die Teilnahme der Parteikanzlei unter Heß an der Weiterleitung von Befehlen vorhanden, die mit der Begehung von Kriegsverbrechen in Verbindung stehen; diese Befehle zeigen, daß Heß Kenntnis von den im Osten begangenen Verbrechen gehabt haben muß – selbst wenn er sich nicht an ihnen beteiligte – daß er Gesetze gegen die Juden und Polen vorschlug und daß er Erlasse unterschrieb, die gewisse Gruppen von Polen dazu zwangen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen.

Der Gerichtshof glaubt jedoch nicht, daß dieses Beweismaterial gegen Heß ausreicht, um auf diese Verbrechen einen Schuldspruch zu begründen.

Wie bereits früher erwähnt, entschied der Gerichtshof nach eingehender ärztlicher Untersuchung des Angeklagten und nach Berichterstattung über seinen Zustand, daß gegen ihn ohne Vertagung verhandelt werden sollte. Seit dieser Zeit wurden weitere Anträge gestellt, ihn nochmals untersuchen zu lassen. Diese wurden vom Gerichtshof abgelehnt, nachdem er einen Bericht des Gefangenenpsychologen erhalten hatte. Es mag zutreffen, daß Heß sich anormal benimmt, an Gedächtnisschwund leidet und daß im Verlauf dieses Prozesses sein Geisteszustand sich verschlechtert hat. Jedoch liegen keine Anzeichen dafür vor, er begreife nicht die Art der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen, oder sei unfähig, sich zu verteidigen. Er war im Verfahren in geeigneter Weise durch einen Verteidiger vertreten, der vom Gerichtshof für diesen Zweck bestellt worden war. Es sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, daß Heß geistig nicht völlig gesund war, als die Taten, deren er beschuldigt ist, begangen wurden.


Schlußfolgerung

Der Gerichtshof erklärt den Angeklagten Heß unter Punkt 1 und 2 der Anklage schuldig, dagegen für nicht schuldig unter Punkt 3 und 4.

Quelle:

Zeno.org

http://www.zeno.org/Geschichte/M/Der+N%C3%BCrnberger+Proze%C3%9F

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